FERNSEHFILMPREIS
DER DEUTSCHEN AKADEMIE DER DARSTELLENDEN KÜNSTE
Gewinner Fernsehfilmpreis 2024 der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste
ZWISCHEN UNS DIE NACHT (ZDF)
Jurybegründung Fernsehfilmpreis
“....und wenn sie nicht gestorben sind, dann schauen sie noch heute deutsche Krimis” wäre vermutlich nicht das spannendste Happy End für eine Gutenachtgeschichte über das deutsche Fernsehen – zum Glück kam nun ein Film auf einem weißen, trojanischen Esel angeritten, um hundert Jahre dorniges Formatgestrüpp zu überwinden und das eingeschlafene Genre zu wecken.
Ein Schelmenmärchen, eine Ausbruchsgeschichte, ein Murdermystery, eine geistige Robinsonade – all das verbirgt sich in dieser erzählerischen Matroschka. Mit ihrer Lust am unzuverlässigen Erzählen bietet diese österreichische Krimidekonstruktion eine unterhaltsame und belebende Re-Interpretation des Genres. Dabei bricht sie mit den üblichen Sehgewohnheiten, indem sie Konventionen vergnüglich bedient, um sie dann mit großer Inszenierungs- und Erzählfreude zu entstauben, zu zerschlagen und
mit einer elektrisierenden Unberechenbarkeit neu zusammenzusetzen. Das gelingt mit einer geschickten Verschränkung der Ebenen, einer gekonnten Inszenierung der genretypischen Elemente, souveränen tonalen Wechseln – von skurril zu tragisch, zu spannend, zu lustig, zu mystisch und zurück – sowie einer starken Besetzung, welche diese Haken spielerisch mitgehen konnte.
Dieser Mindgame-Film funktioniert als überraschender Landkrimi, als kluger Metakrimi und als Verhandlung der Frage, inwiefern Krimis eigentlich unseren moderne Märchen sind. Diese Geschichte war für die Jury auf jeden Fall die schönste im Land - der gläserne Schuh, bzw. der gläserne Würfel, geht an DAS SCHWEIGEN DER ESEL.
Jurybegründung: SONDERPREIS 2024 für herausragende Regie an GINA WENZEL und INGO HAEB für die Regie zu EHER FLIEGEN HIER UFOS (WDR)
Man sieht immer wieder Filme, bei denen die Attitüde größer ist als der eigentliche Film. Bei diesem Film ist es umgekehrt. Er hat keine Attitüde, außer derjenigen, alles, was er erzählt, so wahrheitsgetreu und demutsvoll zu machen, wie es nur geht.
Dass dabei eine eigene Bildsprache gefunden wurde, dass ein Milieu, das im Fernsehen selten, und wenn, dann nicht authentisch, in diesem Fall aber genau und nie von oben herab geschildert wird, dass alle Schauspieler sich ohne Ausnahme in einer unglaublich starken Ensembleleistung direkt ins Herz spielen, dass die Bildmontage organisch dem Geschehen folgt, Ausstattung und Kostüm stimmig und atemberaubend authentisch sind, das passiert in diesem Film scheinbar‚ en passant‘ ist aber große Kunst.
Es fordert ein großes Können, Handlung und Darsteller durch aktuelle politische Themen zu steuern, ohne in Klischees zu verfallen, ohne kitschig zu werden oder sich in Kälte, die einem als Kunstgriff verkauft wird, zu retten.
Wenn ein Film einem etwas über die Zeit, in der wir leben erzählt, sie einordnet, aber gleichzeitig so zu Herzen geht, wie der Film, über den wir hier sprechen, dann versteht jemand nicht nur sein Handwerk, sondern dann ist jemand ein Künstler.
Dieser jemand sind in diesem Fall zwei Personen - der Sonderpreis der Fernsehfilmjury geht an die beste Regie, und zwar von an GINA WENZEL und INGO HAEB für „Eher fliegen hier Ufos“.
Jurybegründung: SONDERPREIS 2023 für herausragende darstellerische Leistung an PETER KURTH, PETER SCHNEIDER und SASCHA NATHAN in POLIZEIRUF 110: DER DICKE LIEBT (MDR)
Dort, wo es um den Schutz von Menschenleben geht, entsteht das, was man als „moralische Verletzung“ beschreibt. Diese liegt vor, wenn eine Person eine Handlung miterlebt, die ihre tief verwurzelte Einstellung in Bezug auf einen angemessenen Umgang mit der Würde anderer Menschen beschädigt – die Ärztin, die eine Triage vornehmen muss, der Soldat, der jemanden zurücklassen muss, oder aber zwei Polizisten, die eine brutale Kindstötung aufklären und einen Suizid, der hätte verhindert werden können, bezeugen müssen. PETER KURTH und PETER SCHNEIDER zeigen in ihrem preiswürdigen Spiel nicht nur die moralische Verletzung ihrer beiden Ermittler, sondern verkörpern den steten Versuch, diese Wunde irgendwie abzubinden, um funktionieren zu können. Mit einem bewegenden Feingefühl und einem für das Sujet unabdingbaren Verantwortungsbewusstsein formen Kurth und Schneider ihre Figuren – zwischen Angefasstheit und Professionalität, Pflichterfüllung und Erschütterung, Zorn und Hilflosigkeit. Vom ersten, von der Unerträglichkeit der Realität erschütterten Blick des einen zum anderen, bis zu der aus Wut und Ohmacht zur Faust geballten Hand, belauern und stützen sich beide, sowohl als Schauspieler als auch als Figuren. In jeder Einstellung spüren wir die dumpfen Schläge in die Seele, in jeder Einstellung fühlen wir ihr Ringen mit der Welt, um nicht aufgrund der Niedertracht des Menschen K.O. zu gehen. Die außergewöhnliche Unbedingtheit, die Feinheit, die Verletzlichkeit und Genauigkeit in der Darstellung dieser inneren Korrosion haben die Jury beeindruckt und berührt - ebenso wie die ergreifende Arbeit von dem dritten Preisträger:
SASCHA NATAHN spielt den Dicken, der titelgebend liebt, als Figur ohne Chance im wahren Leben. Seine Liebe, die sich als fatale Kombination aus übergriffiger Hilfslosigkeit und unbeholfener pädagoschischer Ambition erzählt, macht ihn nicht nur zum durchschaubar unschuldigen Verdächtigen in einem überraschend geklärten Fall, sondern als mit Leben und vor allem Leiden gefüllte und vor allem gespielte Fehlspur. Und die verfolgt man nur deshalb gerne, weil die Inszenierung sich nicht scheut, mit den damit verbundenen Klischees offensiv zu spielen. Der Dicke ist nur der Dumme, weil man ihn dafür hält. Sascha Nathan und die Inszenierung sind aber viel schlauer. Auch schlauer als im wahren Leben.
Der Sonderpreis für herausragende darstellerische Leistung geht an PETER KURTH, PETER SCHNEIDER und SASCHA NATHAN.
JURY 2024
TYRON RICKETTS (Jurypräsident), Schauspieler, Produzent und Aktivist
Tyron Ricketts, 1973 in Österreich geboren, ist Gründer der Produktionsfirma Panthertainment. Als Schauspieler, Produzent und Aktivist setzt er sich für Diversität in der Film- und Fernsehbranche ein. Mit dem ersten deutschen Disney+ Original SAM: EIN SACHSE rückt er PoC-Narrative in den Fokus und prägt damit die Branche nachhaltig. Sein Engagement wurde mit einem Grimme-Preis in der Kategorie Fiktion gewürdigt.
ANNA BRÜGGEMANN, Schauspielerin und Autorin
Anna Brüggemann, geboren 1981 in München, wuchs in Südafrika, Stuttgart und Regensburg auf. Mit fünfzehn Jahren stand sie erstmals vor der Kamera, es folgten Hauptrollen in diversen Fernseh-, und Kinofilmen. 2006 begann Anna, mit ihrem Bruder Dietrich zusammen Drehbücher zu schreiben, das gemeinsame Drehbuch für KREUZWEG wurde 2014 bei der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. 2021 erschien TRENNUNGSROMAN, für den Roman erhielt Anna Brüggemann den Debütpreis der lit.cologne. 2023 spielte Anna in dem Kinofilm BLACK BOX von Asli Özge mit, am 31.Oktober 2024 erscheint ihr neues Buch WENN NACHTS DIE KAMPFHUNDE SPAZIEREN GEHEN – ROMAN ÜBER MÜTTER UND TÖCHTER.
CATHRIN EHRLICH, Festivalleiterin, Kuratorin und Moderatorin
Während und nach ihrem Studium der Theaterwissenschaften an der FU Berlin war Cathrin Ehrlich als Regie- und Dramaturgie-Assistentin an verschiedenen Theatern und bei Filmproduktionen tätig. 1990 und 1996 wurden ihre beiden Töchter geboren. Von 1991 bis 2002 führte sie die Geschäfte der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste. Anschließend arbeitete sie bis 2014 beim ZDF Theaterkanal, ZDF Kultur und bei dem Kultursender 3sat. Von 1995 bis 2015 organisierte sie außerdem das Fernsehfilm Festival Baden-Baden und übernahm 2015 bis 2021 die Leitung. Seit 2014 leitet sie auch das Deutsche FernsehKrimi-Festival in Wiesbaden. Sie ist immer wieder als Jurorin bei verschiedenen Filmfestivals tätig. Seit 2021 ist sie als Programmberaterin und Moderatorin beim Internationelen Filmfest Mannheim-Heidelberg beschäftigt.
SAMIRA EL OUASSIL, Kolumnistin, Schauspielerin und Autorin
Nach ihrem Master in Kommunikationswissenschaft absolviert Samira El Ouassil in München eine Schauspielausbildung und arbeitet als Kolumnistin beim Medienkritikportal Übermedien.de sowie beim SPIEGEL. Für ihre medienkritische Kolumne wurde sie mit dem Bert-Donnepp-Preis für Medizinpublizistik, für ihre Filmkritik jüngst mit dem Michael-Althen-Preis ausgezeichnet, sowie vom Medium Magazin zur Kulturjournalistin des Jahres gewählt. Seit 2020 bestreitet sie mit Friedemann Karig den diskursanalytischen Podcast „Piratensender Powerplay“, mit ihm hat sie zudem den für den Sachbuchpreis nominierten Bestseller ERZÄHLENDE AFFEN veröffentlicht.
ALFRED HOLIGHAUS, Development Executive und Produzent
Seit Jahrzehnten engagiert sich Alfred Holighaus für den Film, war freier Produzent und bei Senator Film (1995- 2001) für Projektentwicklung sowie Stoff- und Filmeinkauf zuständig. Als Kurator der Berlinale (2001-2010) programmierte er u.a. die neun Jahre lang von ihm geleiteten Sektion „Perspektive Deutsches Kino“. Er war Geschäftsführer der Deutschen Filmakademie e.V. (2010–2015) und Präsident der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V. (2015–2019). Seit 2020 ist er Development Executive und Produzent bei REAL FILM Berlin GmbH. Holighaus ist Mitglied der Deutschen wie der Europäischen Filmakademie, war und ist Mitglied verschiedener Jurys, u.a. des Grimme-Preis und ist ehrenamtlicher Vorstand Talentfilm beim Kuratorium junger deutscher Film. Er begann seine Laufbahn als Kulturjournalist und war von 1986 bis 1995 Chefredakteur des Berliner Stadtmagazins TIP.
Die zehn Nominierungen erfolgten durch die Mitglieder der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste und die Auswahlkommission 2024:
- Volker Bergmeister (Kritiker)
- Andrea Hische (Kommunikation 3sat)
- Michael Ridder (Redakteur bei epd medien)
- Andreas Schreitmüller (Honorarprofessor für Medienwissenschaft an der Universität Konstanz und ehem. Hauptredaktionsleiter Spielfilm und Fernsehfilm ARTE)
- Urs Spörri (Festivalleiter TeleVisionale Baden-Baden)